↘ ORTSSPEZIFISCHE PERMANENTE INSTALLATIONEN
Adrián Villar Rojas
From the Series
The Theater of Disappearance XXXI, 2018
Die Projekte von Adrián Villar Rojas sind bekannt für ihre immersiven Inszenierungen und Erfahrungsräume, die einem Zustand permanenter Raum-Zeit-Reisen zu entstammen scheinen. Sie oszilieren zwischen vergangenen und kommenden Zeiten, um über die aktuelle Gegenwart nachzudenken. Von einem lebensgrossen Wal, der in einem Wald in Patagonien gestrandet ist (My Dead Family, 2009), bis hin zu einem gigantischen Hybrid aus Moche-Keramik und Roboterschrott (A Person Loved Me, 2012), verleibt Villar Rojas diese Materialien seiner künstlerischen Praxis ein und erforscht sie – wie beispielsweise den gebrochenen, rohen Ton, dessen Instabilität und Vergänglichkeit sowohl ein ontisches als auch ontologisches Spiel mit der Zeit auslöst und es auf zwei paradoxe Weisen beschleunigt: als Hypertropie seiner Komponenten (Vergänglichkeit) und als hyperbolisierte Referenz auf Vergangenheit und Zukunft (Permanenz). Die Wahrnehmung des Betrachters wird konfrontiert mit Dingen, die am Verschwinden sind, oder mit Eigenschaften aus weit entfernten, unbestimmten Zeiten, möglicherweise sogar aus parallelen Dimensionen.
Im ältesten Teil des Museumskomplexes, der aus dem 12. Jahrhundert stammt, befindet sich Villar Rojas ständige Installation für MUZEUM SUSCH. From the Series The Theater of Disappearance XXXI(2018), ist eine faszinierende Konstellation. Ein niedriger Felsblock ruht auf einer leuchtend blauen Betonplattform und stützt einen rechteckigen, totemartigen Block. Fast bis zur Decke reichend, sind seine Schichten von unterschiedlicher Textur und Farbe mit einer Mischung aus lokalen Materialien und Objekten bedeckt, sowohl organischen als auch synthetischen Ursprungs, die nach intensiver und nachhaltiger Forschung an verschiedenen Orten gesammelt wurden, um ihre geographische, städtische und kulturelle Einzigartigkeit zu respektieren und zu erfassen. Von Meeresschnecken, Fischen, Sand, Erden, Korallen und Tierknochen bis hin zu industriellen und handwerklichen Produkten, Samen, verlassenen Nestern, Pilzen, Mineralien, allerlei Gemüsen, Pflanzen und sogar kleinen toten Vögeln oder Insekten. Diese irdischen Elemente werden von Villar Rojas manipuliert und rekonfiguriert, so wie es bei den hybriden Anordnungen der Fall ist – die zum Beispiel verformte bunte Turnschuhe und Muschelarrangements miteinander kombinieren, filigran in den Säulen verkrustet. Villar Rojas hat Monate damit verbracht, lokale Anwohner, Wissenschaftler, Märkte, Kindergärten, historische Stätten, Fabriken und Handwerksbetriebe aufzusuchen - jeden Ort, zu dem er von Einheimischen geführt wird, oder auf den er zufällig trifft.
Die Ursprünge dieser ortspezifischen Arbeit liegen in einer Reihe von vier Ausstellungen, die zwischen 2017 und 2018 unter dem Titel The Theater of Disappearanceim Kunsthaus Bregenz, NEON am National Observatory Athens, Hill of the Nymphs, Metropolitan Museum of Art in New York und The Geffen Contemporary im MOCA, Los Angeles, stattfanden. Die letzte, als Palimpsest konzipierte Ausstellung, präsentierte existierende Arbeiten, die in der aufgeladenen, immersiven Umgebung, die im Lagerraum des MOCA entstand, modifiziert und rekontextualisiert wurden. Eine intensive blaue Farbe, die normalerweise für die Erzeugung digitaler visueller Effekte verwendet wird, bedeckte die Wände und Böden des Raumes. Deren Verwendung könnte als ein Versuch gelesen werden, diese zukünftigen Artefakte in unserer Gegenwart zu verankern, was uns wiederum veranlasst, über die Zeit nachzudenken, in der wir leben. Wie der Künstler es beschreibt, würden diese Arbeiten ‚eine Reise von ‚der Kunst‘ zur ‚Hauptsache‘ und dann wieder zurück zur ‚Kunst‘ vollenden‘.
From the Series The Theater of Disappearance XXXIbezieht sich auf diese Arbeitsmethode: die geschichtete Säule wurde zuerst als Teil von Planetarium(2015) auf der Sharjah Biennale errichtet; der Steinboden und der versteinerte Stamm, beide ursprünglich aus der Türkei stammend, wurden ursprünglich in der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo als Teil von Rinascimento(2015) ausgestellt und dann für die finale Wiederholung von The Theater of Disappearance(2018) wieder zusammengefügt. Erneut beschwört Villar Rojas eine einzigartige Vision der Zukunft herauf, in der organische und synthetische Materie, städtischer Abfall und geologisches Material als Zeugen unserer Vergangenheit berufen werden.
Zahlreiche Wissenschaftler – insbesondere der Ökologe Eugene Stoermer und der Atmosphärenchemiker Paul J. Crutzen – gehen davon aus, dass wir gegenwärtig im Anthropozänleben: einer neuen geologischen Epoche, in der die Menschen so tief und vor allem zerstörerisch auf die Erde einwirken, dass dies in geologischen Schichten und Ablagerungen in der Zukunft erkennbar sein wird. In diesem Zusammenhang kann Villar Rojas‘ Arbeit als Aussage interpretiert werden, die die Gegenwart bereits als Teil der Vergangenheit ansieht. So wie die einzigartigen geologischen Bedingungen des Engadin-Tales, in dem sich das MUZEUM SUSCH befindet, den Wissenschaftlern einen Einblick in die geschichtete Zeit, die Vergangenheit der Region ermöglichen, bietet From the Series The Theater of Disappearance XXXIeinen Einblick in eine Zukunft, in der die Menschheit entweder ausgestorben oder völlig verwandelt ist. Wenn wir überleben wollen, so Villar Rojas, muss diese Transformation jetzt beginnen, einsetzend damit, wie wir die Welt bewohnen und sie begreifen: ‚Genau wie die Dinosaurier sich vermehrten, riesig wurden und sich ernährten, bis sie den Planeten entwaldeten [...] die Menschen haben die Dinge so arrangiert, dass wir auf einer selbst erbauten Pyramide stehen, deren einzig höhere Berechtigung eine allmächtige Einheit ist, die nach dem Abbild des westlichen weissen Mannes geschaffen wurde. Dieses Modell fällt zweifellos auseinander. Auf der eindimensionalen Karte macht sich die Vielfalt breit und entwickelt mehrere alternative Genealogien zu dieser androzentrischen und eurozentrischen Pyramide‘.1
1Adrián Villar Rojas, “Rinascimento” at Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, im Gespräch mit Gianluigi Ricuperati, Mousse Magazine, 2016