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SUSCH
Evelyne Axell: Body Double
Kuratiert von
Anke Kempkes & Krzysztof Kościuczuk
Mit einem Beitrag von
Sylvie Fleury
1. August 2020 – 22. Mai 2021
Muzeum Susch präsentiert mit Body Double eine Retrospektive der belgischen Pop-Surrealistin Evelyne Axell (1935–1972). Mit ihrem originellen feministischen Ansatz wurde Axell in den 1960er Jahren eine der Pionierinnen der Pop Art in Europa. Ihr unverkennbares Werk ist bestimmt durch ein rein weibliches Universum, das die damals etablierte Ikonographie der Pop Art überschritt und den Diskurs der weiblichen Sexualität in eine spezifisch feminine Perspektive rückte.
Evelyne Axells Karriere brach tragischerweise durch ihren vorzeitigen Tod bei einem Autounfall im Alter von nur 37 Jahren ab, und ihr Werk und dessen Beitrag zur feministischen Kunst und zur Pop Art wurde in der Folge aus dem Kanon der Kunstgeschichte ausgeschlossen. Ein Schicksal, das sie mit Zeitgenossinnen wie Pauline Boty, Rosalind Drexler, Kiki Kogelnik und Dorothy Iannone teilt, die erst in den letzten Jahren gebührende Anerkennung gefunden haben.
Die von Anke Kempkes (internationale Kuratorin, Kunsthistorikerin und Kunstkritikerin) und Krzysztof Kościuczuk (Künstlerischer Leiter des Muzeum Susch) gemeinsam kuratierte Ausstellung präsentiert um die sechzig Werke, die das gesamte Oeuvre der Künstlerin umspannen. Body Double versammelt eine Auswahl von Collagen, Zeichnungen, Relief-Bildern, Skulpturen, und filmische und photographische Arbeiten, von denen einige seit Jahrzehnten nicht mehr öffentlich gezeigt wurden. Axell experimentierte mit neuartigen Kunststoffen, und entwickelte originelle Techniken wie die Verwendung von Autolack zum Bemalen von Plastik. Nach einer Präsentation im Museum Abteiberg, Mönchengladbach, im Jahr 2011, wird dies die größte museale Einzelretrospektive außerhalb von Axells Heimat Belgien.
Ein prominenter Beitrag zu der Ausstellung ist die Installation Marcel et Robert (2009) der Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury, die in einen generationsübergreifenden ikonographischen Dialog mit Axells Arbeit eintritt. Die großformatige rotierende Scheibe, die die skulpturale Plattform von Fleurys Kunstwerk bildet, ist als Pop-kolorierte Zielscheibe entworfen und korrespondiert mit der konzentrischen Komposition in Axells Gemälde Le Mur du Son (Die Klangmauer, 1966).
Im Jahr 1935 in Belgien geboren, begann Evelyne Axell ihre Karriere als charismatische Theater- und Filmschauspielerin. Zudem schrieb sie das Drehbuch für den 1963 erschienenen Spielfilm Le Crocodile en Peluche (Das Plüschkrokodil). Vor dem Hintergrund der ausgehenden belgischen Kolonialherrschaft im Kongo thematisiert der Film die Vorurteile, denen ein multiethnisches Paar in Brüssel ausgesetzt ist.
Nachdem sie ein Jahr bei dem belgischen Surrealisten René Magritte studiert hatte, gab Axell 1964 die Schauspielerei auf, um sich der Malerei zuzuwenden. Sie verarbeitete das Vokabular der Pop Art durch eine feministisch motivierte Lesart des Surrealismus und erweiterte damit das damals größtenteils unsichtbare Vermächtnis ihrer surrealistischen Vorläuferinnen. Axells gewagte Praxis wurde seitens einer damals vorrangig männlichen Szene von Kunstkritikern zunächst mit Ablehnung begegnet. Dies bewegte die Künstlerin dazu, ihre Werksignatur auf lediglich ihren Nachnamen „Axell“ zu reduzieren, um so jeglicher Geschlechtszuweisung zu entgehen; eine Haltung, die sie mit vielen Künstlerinnen und Schriftstellerinnen besonders der ersten Hälfte des 20. Jhd. teilte.
Body Double hebt verschiedene politische Themen in Axells Werk hervor und situiert ihre Ikonographie in den gesellschaftskritischen Kontext der internationalen Bewegungen der 1960er und frühen 1970er Jahre. Als aktive Zeitzeugin der Ära der sexuellen Befreiung befasst sich Axell in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit einem weiblichen Körperbild, entfesselt von etablierten Konventionen in der Darstellung und Verhandlung des Femininen.
Axells Werk ist durchgängig von einer einzigartigen Ikonographie geprägt: Innerhalb einer utopischen Sphäre der Homosozialität verleiht sie ihren weiblichen Figuren einen befreienden Handlungsspielraum. In ihrem einzigen veröffentlichten Interview von 1969 verkündet Axell: „… die außergewöhnlichsten Geschöpfe, die ich jemals getroffen habe, sind nahezu alle Frauen, ich finde Frauen ausgesprochen exquisit. Sie sind alles zugleich; Sinnlichkeit, Luxus, Frivolität, Zärtlichkeit, Courage, Gier und absolute Selbstlosigkeit. Sprich — eine Synthese aus den Schwächen und Stärken des Menschen.”
Die Ausstellung Body Double thematisiert das wiederkehrende Motiv der „Dopplung“ in Axells Kompositionen. Oft inspiriert vom eigenen Antlitz der Künstlerin, werden identische, weibliche Akte dargestellt, vertieft in einen Dialog, emblematisch eingefangen gleich einem griechischen Fries, oder aufgestellt wie die Hüterinnen eines Portals, das in ein Terrain unbekannter Verheißungen führt. Eine Reihe von psychologisch aufgeladenen weiblichen Porträts spiegeln die Erfahrung eines „gespaltenen Selbst“. Axells Werk durchziehen auch Darstellungen homoerotischer Zwillingspaare – vertieft in eine Umarmung, einen Kuss oder in sexuell explizite Liebeszenen. Eine weitere Variante in Axells bevorzugten ‚Zwillingsbildern‘ sind Darstellungen multiethnischer weiblicher Akte, wie in Axells Filmexperiment Noire et Blanche (Schwarz und Weiß, 1966/7). Dieser Aspekt ihrer Motivik reflektierte die damalige postkoloniale Emanzipationswelle und die ‚Black Pride‘-Bewegung im amerikanischen Bürgerrechtsaktivismus, ein politischer Aufbruch, mit dem Axell sympathisierte.
Beim Anbruch der Ereignisse vom Mai 1968 stand Axell – neben Künstlerfreund Marcel Broodthaers – in der belgischen Kunstszene an vorderster Front der gegenkulturellen Proteste. Im Jahr 1970 schloss sie sich einer lokalen Kampagne an, die sich gegen die Verhaftung der US-amerikanischen Aktivistin und marxistischen Feministin Angela Davis richtete. Davis war eine der weiblichen Idole Axells, der sie zwei Porträts widmete.
Einen weiteren Auftritt hat die „Dopplung“ in Axells Werk in ihrer Vision des „Bio-Botanischen“ (Axell, 1970): exotische Tiere als Alter Egos, verzehrende tropische Vegetation und surreale Hybride machen diese alternative Sphäre einer „biokulturellen Gemeinschaft“ aus. In der verschlingenden Umarmung des Le Homard Amoureux (Verliebter Hummer, 1967) vereinigt sich die Form des weiblichen Akts mit dem Krebstier. Axell erforschte dieses von Dynamiken der Metamorphose beherrschte neue Universum eingehender in ihrer „Paradies“-Werkreihe aus den frühen 1970er Jahren. Die weibliche Figur wird hier in einen Zustand der kompletten Auflösung versetzt – „Nach und nach verlässt sie ihre Stimme. Dann ihre Erinnerung. Und zuletzt die Vernunft” (Axell, Gedicht, 1972). Sie vereint sich auf erotische Weise mit Pflanzen und Tieren und transformiert sich so zunehmend in eine „botanische“ Entität.
Die Motivik des Body Double schließt ihren Bogen in La Grande Sortie dans l’Espace (Die Große Reise ins Weltall, 1967), einem der Hauptwerke Axells: die futuristische Vision eines paganistisch anmutenden Tanzes von identischen Aktfiguren, die auf stilisierte Art Kosmonautinnen darstellen und durch einen abstrakten Raum schweben – eine Zone, in der sich weibliche Sinnlichkeit frei entfaltet, das Arkadien einer spielerischen, antiautoritären zukünftigen Dimension.
In seiner grenzüberschreitenden sexuellen Ikonographie, der feministischen Zielsetzung und den liberalistischen Utopievorstellungen ist Evelyne Axells Werk nach wie vor herausfordernd.